Sonntag, 14. September 2014

Der letzte Blick

Ganeesha in Schleimünde
(Ganeesha = Sanskrit für "Herr der Scharen") 


Schleimünde nach Kappeln, Freitag, 15. August, 2014

Der schöne Blick achteraus, noch aus der Horizontalen am frühen morgen, bekommt heute eine wehmütige Note, denn es ist das letzte mal für diese Reise. Heute gehts endgültig nachhause.

Der schrullige Opa legt ab, mit grimmigem, abweisendem Gesicht. Irgendwas muss bei ihm angekommen sein von unserer Resonanz auf ihn. Die beiden Enkelkinder kommen erst nach dem Ableger wieder an Deck, sie dürfen offensichtlich nicht richtig "mitsegeln" — eine interessante Sozialstudie. Auch die Tochter, mit der wir gestern ausgiebig sprachen, macht seglerisch einen sehr verunsicherten Eindruck, obwohl sie öfter mitsegelt. Es sieht so aus, als machte der Opa an Bord alles alleine! Das ist nicht nur schlechter Stil, sondern auch unnötiger Stress, den er sich selbst macht... Bei diesen Beobachtungen fällt der Frau Kapitän auf, dass wir Menschen eigentlich ständig damit beschäftigt sind, die Gemütsregungen anderer Zeitgenossen einzuschätzen und Mutmaßungen über die Gründe für ihre Handlungsweisen anzustellen... Nicht?

Die Schlei liegt im Dunst. Regen liegt in der Luft wie ein unsichtbarer Schleier. Die 3 Ms sammeln uns auf ihrem Heimweg von Odense ein. Das trifft sich. Von zuhause gute Nachrichten: J und B wollen es nochmal miteinander versuchen. Das gibt Hoffnung! Ab nächste Woche wieder volles Programm: Bandprobe The Livingrooms, Chorprobe globalvocal, und ein Haufen Arbeit für die Frau Kapitän...

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, ob unterwegs oder zuhause :-)

Samstag, 13. September 2014

Zitrone ist keine Butter

Sonderborg nach Schleimünde, Donnerstag, 14. August 2014

Wir bewahren Butter und Reste in Dosen auf, die sich sehr ähneln. Suchen wir die Butter zum Frühstück, finden wir vielleicht eine angeschnittene Zitrone. Aber: "Zitrone ist keine Butter." Also weitersuchen!

Schleimünde können wir gut anliegen. Der Wind kommt mit 4 Bft aus SW, und wir machen 8 Knoten durchs Wasser, 7,5 über Grund, bei einem anfänglichen Kurs von 120 Grad, später 195. Ein Segeltag wie aus dem Bilderbuch. Bewölkt tief und hoch, der Himmel eine riesige Kuppel, wir gleiten wie in einer Naturkirche dahin, können sehr weit sehen, erkennen sogar Lyö achteraus.

Schleimünde ist ein magischer Hafen, dessen Atmosphäre nicht mal Kaffedampfertouristen kaputt-trampeln können. Nach außen die See, schleieinwärts der verheißungsvolle Blick nach binnen. Der ideale Übergangshafen, um eine lange Reise ausklingen zu lassen und ohne Kulturschock zuhause anzukommen. 

Der Leuchtturm ist eingerüstet. Hier wird renoviert.
Leider wird das bisherige Kleid aus hässlichen, schwarz weißen Eternitplatten durch ein neues, ebenso unansehnliches in grün-weiß ersetzt. Der Originalstein soll so marode sein, dass der alte Leuchtturm nicht erhalten werden kann. Sehr schade!

Noch vor dem Abendbrot in der frisch renovierten Giftbude legt ein schrulliger alter Mann mit lädierter Frau (Hexenschuss),  schüchterner Tochter und Enkeln neben uns an. Als eines der Kinder "Widerworte" von unter Deck gibt, schnellt der Zeigefinger des Opas in die Höhe: "Wenn ich das noch einmal höre, sperre ich dich in die Koje und schließe ab!" Oha. Wir dachten, den Zeigefinger gäbe es nur noch bei den Taliban. Da der Mann aber nicht wie ein "Gotteskrieger" aussieht, muss er wohl von vorgestern sein.

Um 19:00 heißt es im Himmelstheater "Es werde Licht!" Und es ward Licht. Ü-B-E-R-I-R-D-I-S-C-H! 

Und sonst:
- Die Frau Kapitän sieht heute aus wie Dusselduck, so behauptet der Herr Kapitän
- Der Schauspieler Robin Williams hat sich (aus Krankheitsgründen) erhängt. Die Frau Kapitän denkt nach.
Sch'münde

Dusselduck...





Pökelfleisch

Middelfart nach Sonderborg, Mittwoch, 13. August 2014


Die Aventura geht schon früh mit Walbeobachtern raus (Schweinswale natürlich). Der gesamte Hafen nimmt den federnden Rhythmus ihres Motors auf. Der Skipper tut, was er tun muss, um abzulegen, während die Gäste geduldig (und klammheimlich ein bisschen aufgeregt) an Deck von einem Bein aufs andere treten.

Nach morgendlichem Regen klart es am frühen Vormittag auf und wir fügen unserem Heimweg noch ein paar Meilen hinzu, bis Sonderborg. Unterwegs ist es "fast so schön wie Dänemark!": sanft geschwungene Hügel, mit Gras bewachsene Inselsäume, weite Blicke. Anfangs dreht der Wind immer mit, wir heinzen, um voranzukommen. Auf den Alsensund zu und im Sund selbst kriegen wir aber einen schönen Amwindkurs. Mehrere Seen über, vor allem ins Gesicht — wir werden bei lebendigem Leib gepökelt. Vor der Brücke in den Stadthafen müssen wir fast eine ganze Stunde warten. Dort liegt man schon in Päckchen. Wir ziehen weiter in den Yachthafen. Auch hier siehts "gepackt" aus, und alle freien Boxen sind rot. Eine kleine Jolle mit zwei unkompatiblen, dümmlich dreinschauenden Gestalten drauf erschwert massiv unsere Suche nach einem Liegeplatz. Wir versuchen verschiedene Schlengel, einer genauso eng wie der andere; immer ist die Jolle schon da oder folgt uns dicht auf den Fersen, geht uns vor den Bug oder am Arsch vorbei. Der Kapitän muss wieder mal drastische Worte einsetzen, um dem blöden Spuk ein Ende zu machen. Die Frau Kapitän schlägt zur Not einen Platz vor Kopf einer Pier vor, wo auch schon ein freundlicher Mann einladend herumfuchtelt. Es stellt sich heraus, dass er zu der Wauquiez gehört, die zwei Plätze weiter liegt. Der Mann nimmt sehr motiviert Leinen an, rutscht aber leider aus und schrammelt sich die halbe Sommerbräune vom Schienbein. Autsch! So war das nicht gedacht. Er kriegt sich sehr schnell wieder ein, und beim Klönschnack gibt er uns einen Wetterbericht der letzten Tage: 9 Bft aus SE! Zum Abendbrot Resteessen mit Stimmungseinbruch-ist-immer-noch-besser-als Wassereinbruch. Na dann: Gute Nacht!

Und sonst:
- Sehr schöne Europa-mit-Adenauer-in-der-Ecke-Flagge gesichtet 
- über Funk hören wir von einem gekenterten Katamaran;  Bremen Rescue ist unterwegs, nachdem Helfer vor Ort nichts ausrichten konnten
- Kein Wunder, dass unser dänischer Byvejret immer weniger Wind meldet als wir auf See haben (By=Stadt)

Nachhausekommer-Blues

Juelsminde nach Middelfart, Dienstag, 12. August 2014

Unser Wetterfenster tut sich früh auf. Da wir nicht wissen wie lange noch, ziehen wir früh los (Motor an 6:45 Uhr). Die Wetterberichte ändern sich stündlich. Die Frau Kapitän meint zwar, es habe sich ausgeblasen, denn die Isobaren liegen schon viel weiter auseinander als in den letzten Tagen. Dennoch haben wir mehr Wind als vorhergesagt: Wir starten mit SW 5 Bft, zunehmend 6, in Böen 7, der Seegang ist aber nur halb so wild. Beim Schießgebiet vor Fredericia leider 3 kn Strom gegenan! Gut, dass unser Etmal heute so klein ist. http://youtu.be/ZtKbp5jgb28 

Im Gamle Havn von Middelfart ist genug Platz für uns. Mit der Gewissheit, dass wir uns in der Nachsaison befinden, klopft der Nachhausekommer-Blues an die Hintertür. Ankommen, Frühstücken, Nickerchen, Stadtbummel. Die Einkaufsstraße: surreal. Als betrachteten wir uns selbst mitsamt einem Abklatsch unserer "Kultur" in einem Museum. Wir sind auch Ausstellungsstücke! In den Geschäften Waren aus stinkenden Materialien, die niemand braucht,  und Modeartikel mit Mustern und Farbkombinationen, bei deren Anblick das Auge Schmerzsignale ins Hirn schickt, und die keiner Zeit zu entstammen scheinen. Wer trägt sowas? Ab und an regnet es. Seit die Auswirkungen von Bertha über uns gekommen sind, scheint der Sommer schlagartig vorbei. (Heute morgen aufgebrochen mit schwerem Ölzeug und Handschuhen).

Wie um die Stimmung zu heben hat die Fischbude auf. Wir grillen im Cockpit zu dramatischer Sonne unter. Hinter uns liegt die Aventura mit einem Motorengeräusch wie eine ganze Percussionband. http://youtu.be/HTExQcyJRuI Der Skipper, der heute morgen die Herstellung von Reifenfendern unterbrach, um unsere Leine anzunehmen, erzählt, wie er nach seiner Rückkehr aus der Karibik zusammen mit seinem Motor, einer afrikanischen Band und vielen Freunden seine Heimkehr gefeiert hat. Gegenüber liegt die Mytilos, ein Pfadfinderschiff. Während die wohlmeinenden, Gitarre spielenden und singenden Erzieher für Stimmung sorgen, spucken die renitenten Jugendlichen in den Hafen und fangen die Spucke mit der Pütz wieder ein. Na dann: Snächtle!

Mittwoch, 20. August 2014

Möwenkacke auf der Regenjacke



Juelsminde, Montag, 11. August 2014
Ab Mitternacht lässt der Wind hörbar nach. Wir wachen zu einem neuen Gesang aus SW auf. Was nach dem ausgiebigen Gebläse hängen bleibt im Ohr ist die Vielstimmigkeit des Windes, ein gewaltiger himmlischer Chor mit einer riesigen Bandbreite von Klanghöhen und Lautstärken.

Im Laufe des Vormittags bläst es wieder kräftiger, bis 30kn. Wir hoffen für morgen auf ein Wetterfenster für den Absprung, mindestens bis Middelfart. Von da haben wir einen günstigen Kurs nachhause bei westlichen Winden, und es ist nicht mehr weit. Die Frau Kapitän blogs what (drei Wochen Rückstand :-(, der Herr Kapitän geht draußen spielen.

Am frühen abend versucht er, die Frau Kapitän zum Baden zu verführen: "Das Wasser ist wärmer als die Luft!" Pustekuchen. Das galt vielleicht morgens, als der SE das warme Oberflächenwasser an Land geweht hat. Nach einem ganzen Tag SW ist das warme Wasser aber weggeweht.

Wir grillen auf der Pier, wo wir allerdings angesichts der zweiten, sehr ernst dreinschauenden Regenwolke das Feld räumen, kurz bevor wir aufgegessen haben. Klar Kombüse und ab in die Heia, falls morgen früh unser Wetterfenster aufgeht.

Und sonst:
- Zwei Boote sind ausgelaufen, kehren aber wegen stürmischem Wind draußen wieder zurück (40kn)
- Die Möwen scheißen einfach auf alles "Möwenkacke auf der Regenjacke"
- Der Wasserstand steigt und sinkt; das Baro steigt
- Goofies, Pudel und Elephanten ziehen am Himmel vorbei. Ein Rüssel steht in Flammen
- Wetterleuchten (ab 22:00)

Dienstag, 19. August 2014

"Der Raucher und die Ringeltusse"

Schrankkoffer


Ebeltoft nach Juelsminde, Sonntag, 10. August 2014
Die Ausläufer von Bertha benehmen sich wie die Axt im Wald — unberechenbar. Wir glauben einfach, was wir wollen: Tagsüber soll der Wind sich eine Atempause gönnen (4-5 Bft aus SE), in der wir bis Juelsminde kommen wollen. Die Atmosphäre ist so geladen, wie sie nur sein kann, wenn man weiß, dass man von einem Tropensturm heimgesucht wird, und wenn es nur die Ausläufer sind. Der Himmel zugezogen, diesig, und sonst: ein wunderbarer Segeltag. 

Wir kommen mit gerefften Segeln gut voran, und kurz liebäugeln wir damit, bis Middelfart weiterzusegeln, einfach weil es gerade so schön geht. Aber die Vernunft siegt, und das ist auch gut (fest Juelsminde um 15:00), denn die Vorhersage stimmt wieder ziemlich genau: ab 16:00 legt der Wind zu (6-7, in Böen 8 Bft, später haben wir dauerhaft zwischen 36 und 37 Knoten Wind auf der Anzeige). 

Am Abend kommen noch mehrere Chartercrews an. Haben die keinen Wetterbericht, oder sich schwer verschätzt/überschätzt? Die meisten dieser Anlegemanöver gehen mit Panik, viel Gebrüll, und natürlich Besserwisserei von denen, die an der Pier stehen, vonstatten. Der Himmel gibt keine Antwort. Komplett zugezogen. (Der Schwedische Wetterbericht ist auch heute der einzige zutreffende, wobei wir wieder den Spitzenwind als Durschschnittswind haben). Wir hängen sehr straff in den Seilen in einer relativ ungeschützten Box, die eigentlich auch noch etwas zu kurz für uns ist; dennoch: einfach froh, fest zu sein. Die Leinen rucken ein, dass es nur so eine Art hat. Na dann: gute Nacht Marie! 

Und sonst:
- "[Mong djö]!" (mit Betonung auf "ong" ist heute der beliebteste Ausruf des Herrn Kapitän angesichts der Tücken von Objekten
- ein Schrankkoffer kreuzt unseren Seeweg
- Wir passieren die wunderschöne Küste von Samsö mit ihren weichen, geschwungenen Linien und Grasbordüren
- unser Liegeplatz ist leider in Lee eines Rauchers und seiner besserwisserischen Frau in weiß-blau geringeltem Segelhemdchen. Sie sind zwar hilfsbereit, haben aber den Spitznamen gleich weg: der Raucher und die Ringeltusse
- kleiner Sandsturm am Abend: http://youtu.be/9wz1_5FmRic 

Hurricane Bertha



Grena nach Ebeltoft, Samstag, 9. August 2014
Schon in der Früh bläst es ordentlich (SE 5 Bft). Die Drei Ms gehen von Bord, und der Enkel rückt zum Abschied ein so unbeschreiblich zartes Küsschen raus, dass der Frau Kapitän, ihres Zeichens Großmutter des Kleinen M und Empfängerin dieses unschuldigen Abschiedsgrußes, beinahe das Herz stehen bleibt. 

Leinen los um 8:00, denn ab Mittags sind 7-8 Bft aus SE angesagt; da wollen wir nach Möglichkeit schon in Ebeltoft (dem Wetter entsprechend ein kleines Etmal) gelandet oder zumindest im Schutz der Leeküste sein. See 1,5m, gleich in der Hafeneinfahrt, unterwegs bis 2m, eine nasse Angelegenheit. 

Bei dem auflandigen Hack halten wir respektvoll Abstand von der Küste. Kurz vor Hjelm fällt der GPS aus. Gut, dass wir auch ohne elektronische Instrumente immer wissen, wo wir sind. Wir machen regelmäßig Orte auf der Seekarte, haken Tonnen ab und füttern unser Gedächtnis regelmäßig mit relevanten Infos. Der Herr Kapitän saustark am Ruder, die Frau Kapitän gut zu gebrauchen, um am Mast und an den Wanten losgerissene Besen und Bootshaken zu klarieren, schlagende Leinen zu bändigen und hinterwäldlerische Nupsies zu bedienen, die die Bequemlichkeit des Rollgroßsegels konterkarieren. 

Wir kriegen viele salzige Seen über, die in den Kragen einsteigen und eine unangenehme, feuchte Kälte hervorrufen. Das Gewässer ist flach, Grundseen bilden sich, und auch als wir um unser tägliches "Kap der guten Hoffnung" (die Triefnase von Jylland) herum sind, verbessern sich die Bedingugen nicht. Zwar lassen die Wellen allmählich nach, dafür legt aber der Wind zu (ESE 7, in Böen 8 Bft), und Regen behindert die Sicht. Von der Hafeneinfahrt Ebeltoft wälzt sich eine Regenböe auf uns zu wie ein fauchender Höllenhund, verschluckt das ohnehin schwer erkennbare Richtfeuer. 

Der Wind legt weiter zu. Aus den Wetterberichten lernen wir, dass es sich um die Ausläufer des tropischen Hurricanes "Bertha" handelt, der, aus der Karibik kommend, zuerst in London aufgeschlagen ist und nun uns heimsucht. Über Nacht haben sich in unserer Gegend gleich zwei neue Zwischentiefs gebildet, und wir sind mittendrin im Getose. Bei Betrachtung der Großwetterlage ergibt sich der nötige (emotionale) Abstand.

Im großen Maßstab betrachtet, kann man auch geographische Darstellungen auf Karten anders lesen als gewohnt, z.B. als Fabelwesen. In unserem Salon hängt eine Karte unseres Heimatreviers (Skagerrak bis Baltikum). Darauf erscheint Jylland als Kopf von Spitzweg mit Zipfelmütze (Skagen) und Triefnase; der Mariagerfjord bildet eine Augenbraue, und der Fjord zwischen Udbyhöj und Randers ein geschlossenes Auge. Nördliche und Südliche Ostsee bilden den Körper eines Ponies, das nach Osten reitet, der Rigaische Meerbusen den Ponykopf, die Bucht von Danzig und das Kurische Haff erscheinen als Hängetitten. Die Welt ist im wahrsten Sinne des Wortes: fabelhaft.

Heute heulen wir früh den fast vollen Mond an.